Karben 01/2020 Februar 2020
10 Lebensjubel „Das Fernsehen verschaffte den epis- temologischen Tendenzen des Telegra- phen und des Fotos ihren mächtigsten Ausdruck, indem es das Wechselspiel zwischen Bild und Augenblicklichkeit zur äußersten Perfektion trieb. Und es verschaffte ihnen Eingang in die Privat- sphäre.“ Was ist das Gefährliche am ständigen „Vergnügt sein wollen“? Wer umworben werden will, der zahlt am Ende die Rech- nung. Für jene für die alles spannend, unterhaltsam, aufregend, amüsant u. v. m. sein soll, die lassen zu, dass das Fernsehen als „Servicebetrieb“ für die verschiedensten Wege aus der Lan- geweile sorgt, das aber meist sinnlose Produkte liefern. Denn wer die Langweile scheut, der ist bereit, so ziemlich jeden Preis dafür zu bezahlen. Kurz: Der Konsument ist nicht mehr am ICH gebunden, sondern schafft sich eine Identität außerhalb seiner eige- nen Erinnerungs- und Erlebenswelt. Das Fernsehen hat bereits nach dem Kriege vor allem dazu beigetragen, die Schreibkultur dramatisch zu verän- dern. Ist im Schreiben und Lesen noch Aufmerksamkeit und Konzentration erforderlich, so findet in den modernen Medien genau das Gegenteil statt. Wir haben es mit einer „Bilderkultur“ und Überflutung von Reizen zu tun. Mit dem Ansteigen der Bildermasse, verküm- mert auch die gepflegte Sprach- und Sprechkultur. Wer sich die Mühe macht in den Privatsendern herumzustöbern, der wird Gast einer Sprechweise, die jeder Fantasievorstellung den Boden unter den Füssen wegzieht. Das gilt besonders oft für Leitfiguren. Andere Sendungen präsentieren Menschen aus dem Leben, die für wenig Geld den Zu- schauern eine reale Lebenswelt vorgau- keln sollen. In diesen Sendungen wird schonungslos alles dargestellt, was die Fäkalsprache zu bieten hat. Damit wird der Anspruch der Zuschauer an „geist- voller Darbietung“ auf ein Minimum an Verständigung reduziert. Das Bestreben der Macher dieser Sendungen besteht zynischer Weise darin, dass Menschen am Bildschirm erleben sollen, wie sie sich gegenseitig entblößen, erniedrigen, beleidigen, schlagen, sich schamlos be- nehmen und alles kleinreden. Kurz: Das Große, Besondere, Außergewöhnliche wird in sein Gegenteil verkehrt. Diese Art der Dauerberieselung schafft für den Zuschauer eine „Sicherheit zur Lebenswirklichkeit“, die nichts ande- res ist als eine „Fensterperspektive“ aber die als real erlebt werden soll. So verbringen Millionen ihre Zeit am Fern- sehen, wie vor einem Tropf, aus dem täglich „Unterhaltung und Ablenkung“ sickert. Diese Form der Freizeitbeschäftigung aus dem Blickwinkel der Programm- macher betrachtet, ist eine Strategie des „Kleinhaltens des Zuschauers“. Auf diese Weise wird ihm ständig das Gefühl vermittelt, er könne selbst entscheiden. Aber Vorsicht, denn Fernsehunter- haltung verfolgt das Ziel, die Selbstkontrolle zu eliminieren. Denn, das wissen die Medien- macher genau, je größer die Selbstreflexion, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Zuschauer beginnt den Knopf- druck als Friedensstifter für das eigene Seelenheil zu bedienen. Denn die Wirkung des Fernse- hens auf die Zuschauer dient der Wunschbewirtschaftung, nach demMotto: „Was du willst, das sollst du bekommen unverzüglich, sofort und ohne jede Reue.“ Denn die Wünsche des Konsumenten nach Un- terhaltung scheinen unendlich zu sein, deshalb bringt er sich heute mehr denn je selbst in Versuchung. „Nicht Meinungen sollte man sie nennen, sondern Gefühlsregungen, womit auch erklärt wäre, dass sie sich, wie uns die Meinungsforscher mitteilen, von Woche zu Woche verändern. Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von >Informiert sein< ver- ändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als Desinformation bezeichnen sollte.“ Glück anstatt Unterhaltung Wer sich der Mühe unterziehen will, ein Quäntchen Glück zu gewinnen, der sollte alles unterlassen (jedenfalls zeitweise) was an Unterhaltung und Bespaßung geboten wird. Vielmehr die Selbstheilungskräfte akti- vieren, um Wege zu sich selbst zu finden. Dazu hilft ein Blick in die Vergangenheit. Es ist kurios, denn die Unterhaltungs- und Bespaßungsindustrie suggeriert, dass der moderne Mensch sich ständig an das Neue, Außergewöhnliche, Ein- zigartige orientieren soll. Aber sie selbst greift allerdings ständig auf Vergangnes, Vergessenes und Überholtes zurück. Bei- spiele findet man in der Mode, der Musik, auf dem Kunstmarkt oder in Museen als Horte der Erinnerung. Man hat also die Wahl: Entweder man wird zum Bedienten oder zum Unabhängigen. Denn die eigentliche Kunst des Lebens und damit des eigenen Glückes besteht darin, sich selbst dafür zu belohnen, dass man etwas selbst zustande gebracht hat. Denn Erwerb ist besser als Vergnü- gen. Und bedeutet nicht Glück, sich der Anstrengung zu unterwerfen, um seiner selbst würdig zu sein, je nachdemwie sich die Lebensumstände fügen. Vielleicht soll man sich wieder einmal unsere Klassiker zu wenden. VERLAG · WERBEAGENTUR DRUCKSACHEN ALLER ART 61184 Karben · Christinenstraße 52 Tel. 06039 930244 · Fax: 06039 930245 E-Mail: w.scheer@gmx.de T Y P O S E RV I C E Wie wir uns täglich mit Vergnügen ruinieren! 2. Teil
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