Karben 02/2020 März 2020
10 Fortsetzung in der nächsten Ausgabe Alle wollen Spaß! – Aber, wo bleibt die Heiterkeit? Seit vielen Jahren geradezu inflationär gebraucht, dringt es – wie eine Welterklä- rungsformel – in jede Ritze unserer Sprach- äußerungen: das Wort "Spaß". Dieses eine Wort scheint alles auszufüllen und erklären zu wollen, was das Leben an geistiger Reich- haltigkeit zu bieten hat. Für den Autor steht dieser Ausdruck somit schon lange unter dem Verdacht, das kollektive Bewusstsein für Unterschiede zu entschärfen. Denn das Wort "Spaß" scheint alles ein- und unter- zuordnen, was auch in das Besondere, Erhabene, Außergewöhnliche, Ideale und Aufregende unterschieden werden könnte. Man steht somit vor der Frage: Was soll ins Abseits gerückt werden? Oder ist es nur der modernen Zeit geschuldet, dass wir der Mannigfaltigkeit unseres Wortschatzes so wenig Zutrauen schenken? Für den Autor war dies Anlass genug, einmal genauer hinter die Kulissen zu schauen und das Wort "Spaß" in Beziehung zu dem Wort "Heiterkeit" zu setzen. Im Folgenden soll zudem der Frage nachgegangen werden, ob es sich lohnt, den eigenen Wortschatz zu überprüfen bzw. sich zu fragen, ob man ein heiterer Mensch ist. Das Wort "Spaß" kommt aus dem italie- nischen "spasso" und meint so viel wie: Zerstreuung, Zeitvertreib oder Vergnügen. Wir verwenden das Wort heute bei vielen Tätigkeiten, die "Spaß machen" sollen. Vor allem soll Arbeit oder Schule Spaß machen und in unserer Freizeit erwarten wir den Spaß sowieso. Seltener ist zu hören, dass vor dem Spaß die Arbeit kommt. Diese Denkgewohn- heit führt letztendlich dazu, dass sich hinter dem Terminus "Spaß machen" eine falsche Erwartungshaltung verbirgt, die allzu oft der Alltagsrealität nicht standhalten kann. Denn mit nachlassender Spaßhaftigkeit schwindet oftmals auch der Wille zum Durchhalten. Anders verhält es sich mit dem Begriff der Heiterkeit. Angesichts der Frage, was man eigentlich unter Heiterkeit versteht, wird man unversehens an die täglichenWetternachrich- ten erinnert: "heiter" oder "heiter bis wolkig". Wir schauen morgens aus dem Fenster, die Sonne strahlt und unsere Stimmung steigt bei dem Gedanken, dass die Aussichten für das Wochenende "heiter und sonnig" sind. Dass sich hinter "Heiterkeit" jedoch sehr viel mehr verbirgt, als ein Wetterphänomen, zeigt ein Gedicht Friedrich Hölderlins, das den Titel "Niemals und Jetzt" trägt: "In jungen Tagen war ich des Morgens froh, des Abends weint ich, jetzt, da ich älter bin, beginn ich zweifelnd meinen Tag, doch heilig und heiter ist mir sein Ende." Dieses Gedicht zeigt, dass die Heiterkeit eine innere Haltung zum Leben ist, die – so scheint es zumindest bei Hölderlin – das Lyrische Ich im Laufe des Lebens erst erlernt hat. Die Heiterkeit befreit jedoch nicht von den äußeren Lasten des alltäglichen Lebens, sondern sie versucht vielmehr den Men- schen von innen heraus zu befreien. Sie hebt sich wie ein Ballon in die Lüfte und erlangt dadurch eine andere Perspektive auf das Leben. Der heitere Mensch neigt nicht dazu, sich etwas vorzumachen oder sogar schönzureden, vielmehr versucht er aus schwierigen Situationen mit klarem Kopf herauszukommen. Denn heiter wird es dann, wenn sich etwas "klärt", "aufklärt", "erhellt" oder "Licht in des Tages Dunkel kommt". Für den Autor geht die Heiterkeit somit auch eine Verbindung mit dem Licht ein, da sie Erleuchtung zu bringen vermag. Anders: Man gewinnt einen Blick für die Realität. Somit wäre die Heiterkeit auch die Chance auf ein neues Lebensgefühl. Heiterkeit also auch als die Suche nach dem Erhellenden, dem Erhabenen, dem Besonderen, dem Einzigartigen – kurz: die Suche nach dem Heiteren in uns. Der heitere Mensch gerät dabei schnell in den Verruf, mit dem Heiteren gleichgesetzt zu werden, das dem Alltäglichen entrückt zu sein scheint. Sind wir es doch gewohnt, bei vielerlei Problemen, Auffälligkeiten, Fehler- haftem und vor allem nach der Begegnung mit Andersdenkenden, den Rat von Experten einzuholen, anstatt unter Berufung auf die eigene innere Zuversicht Antworten oder Lösungen zu suchen. Und während man sich früher noch ins Poesiealbum schrieb: "Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heiteren Stunden nur", trifft der Pfeil des Zynikers heute gerade den heiteren Menschen mit so geläufigen und phrasenhaften Argumenten wie: • Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind. • Wer weiß, was alles passieren kann. • Wenn wir gewusst hätten, dann … Der Bogenschütze kann sich mit dieser Welt- sicht manch anerkennender Worte sicher sein, denn die Bewegungslosigkeit ist Teil einer verdrehten Heiterkeitsstrategie. Doch der heitere, weise Zeitgenosse weiß, dass in dieser Welt nicht alles zu erreichen ist. Denn gerade Menschen, die im Alltagsgeschehen festzementiert erscheinen, die ständig abge- lenkt, nervös und abgekämpft sind, sozusa- gen immer unter Dampf stehen, können nicht heiter sein. Nur mit einer gewissen Distanz und mit einem Blick aus der Vogelperspek- tive erlangt man eine Art von Erhabenheit, die den Menschen für einige Augenblicke seinem irdischen Leben entrinnen lässt. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, schützt die Heiterkeit gegen alles Fadenscheinige, Trick- reiche, Hinterlistige, Verdrehte und Belastende. Schopenhauer bezeichnete die Heiterkeit auch als Charaktereigenschaft. Mit der Heiterkeit belohnt der Mensch sich selbst. Er muss keine Gründe suchen, um fröhlich zu sein, sondern das Heitere ist einfach Teil seines Lebens. Der heitere Mensch besitzt alles Lebensglück, auch wenn er nicht zwangsläufig erfolgreich ist. Denn: Heiterkeit ist eine Grundhaltung, die nicht zum Erfolg gehört. Ein Beispiel: Ein Mensch gerät in seinem Leben in eine Schräglage. Ist solch ein Mensch von heiterem Gemüt, wird er seine unglückliche Situation nicht als Niederlage betrachten, sondern sie als einen Teil seiner inneren Entwicklung bewerten und gestärkt aus ihr hervorgehen. Kurz: Eine Niederlage entscheidet nicht über das Leben, aber der Gewinn, der aus einer misslichen Lage gezogen wird, ist ein konkreter Erfolg. Alfred Adler, ein österreichischer Arzt und Psychotherapeut (1870-1937) beschreibt in seinem Werk "Menschenkenntnis" das Wesen der Heiterkeit wie folgt. Heiter sind Menschen, die zeigen: "… wie groß ihre Bereitschaft ist zu helfen, zu fördern und andere zu erfreuen. Diese Fähigkeit, Freude zu bringen, bewirkt, dass solche Men- schen schon zufolge ihrer äußeren Erscheinung größerem Interesse begegnen. Sie kommen uns leicht näher, und wir beurteilen sie schon rein gefühlsmäßig viel sympathischer als andere Menschen. Ganz instinktiv empfinden wir ihre Züge als Kennzeichen des Gemeinschaftsge- fühls. Es sind Menschen, die ein heiteres We- sen haben, nicht immer bedrückt und besorgt einhergehen, auch die anderen nicht immer zum Objekt oder Träger ihrer eigenen Sorgen machen, die es über sich bringen, im Zusam- mensein mit anderen Heiterkeit auszustrahlen, das Leben zu verschönern und lebenswerter zu machen. Man spürt den guten Menschen nicht nur in ihren Handlungen, in der Art, wie sie sich uns nähern, mit uns sprechen, auf unsere Inter- essen eingehen und für dieselben wirksam sind, sondern auch in ihrem ganzen äußeren Wesen, in ihren Mienen und Gebärden, in freudigen Affekten und in ihrem Lachen. Ein tiefblickender Psychologe, Dostojewski, sagt, dass man einen Menschen am Lachen viel besser erkennen und verstehen könne, als aus langwierigen psycho- logischen Untersuchungen. Denn das Lachen hat sowohl verbindende Nuancen, wie auch feindliche, angreifende Untertöne, wie z. B. in der Schadenfreude. Es gibt sogar Menschen, die des Lachens überhaupt nicht fähig sind und einer tieferen Beziehung von Mensch zu Mensch so fern stehen, dass ihnen die Neigung, Freude zu machen und eine heitere Stimmung zu erzeugen, fast völlig abgeht.
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